Schonmal bei einem Männerfriseur gewesen?
Ich bis heute nicht.
Angefangen hat das vor knapp 2 Wochen. Seit diesem bösen Mittwoch habe ich keinen funktionierenden Rasierer mehr. Seit dem konnte ich weder das Gestrüpp im Gesicht noch die der Entropie folgenden Kopfhaare zur Ordnung rufen.
Ich bin jetzt bei Leibe kein Ordnungsfetischist. Nein, das können dir alle Familienmitglieder, sämtliche Lebensabschnittspartnerinnen seit meinem 15. Lebensjahr und auch sonst alle bestätigen, die jemals mit mir zu tun hatten. Ich bin unordentlich und oberflächlich bei meinem Äußeren.
Bei einem Blick in den Badezimmerspiegel beschloss ich gestern abend, dass ich mir entweder heute einen neuen Rasierer kaufe oder zu einem Friseur gehe - auf keinen Fall aber weiter auf die bestellte Ware warten werde.
Samstag Mittag, Mainz, Kaiser-Wilhelm-Ring, bei Osman.
An dem Laden war ich schon Dutzende Male vorbei gefahren, immer saßen vor dem Schaufenster rauchende, schwarzhaarige Männer mit buschigen Augenbrauen in braunen oder blauen Anzügen mit altmodisch breitem Revereaufschlag oder sie standen dort und schwangen eine kleine Kette um die Finger, drinnen saß stets irgendwer auf einem der schweren Stühle und wurde mit schnellen Bewegungen bearbeitet. Männerfriseur steht auf der Schaufensterscheibe, die Preise haben durchaus lokales Niveau, es wird hauptsächlich geschwiegen zu leiser orientalischer Radiomusik.
Wie anders die mir bekannten Friseurläden - hauptsächlich junge Mädchen, hin und her laufend, geschwätzig, summende Trockenhauben, modische Kleidung, Duft nach Haarspray und Gel in der Luft, Tratsch, Kaffeetassengeklapper.
Ich weiß nicht, warum ich zu Osman ging, es war kein "rationaler" Gedanke, vielleicht das Bild aus der Erinnerung an Friseure vor 40 Jahren, ohne Termin, der nächste bitte, schnelle Männerschnitte, Fußballtipps, Politikgeschwätz. Oder der Wunsch nach strenger Ordnung bei dem Anblick meines Kopfsauerkrauts morgens.
Vorsichtiger Blick durchs Schaufenster, einer der drei drinnen schneidenden bemerkt mich, nickt mir freundlich zu - ich kenne ihn nicht. Der für meine Begriffe eigentlich perfekt frisierte Mittelalte neben mir sagt, es seien drei Friseure da, es wird schnell gehen, als ich frage, ob er wartet.
Nach einer Weile gehe ich rein, setze mich zwischen die anderem Wartenden, es riecht nach Männerschweiß und abgeschnittenen Haaren, wie früher, genau wie in meiner Kindererinnerung. Einer fragt, wer als nächster dran ist, sonst wird geschwiegen.
Nach vielleicht 20 Minuten bin ich dran. Rasieren, bitte.
"Man, wer schneid' dein Haare?" fragt mich der vielleicht 40-jährige, der mich bearbeiten wird und fährt mir mit schnellen Bewegungen durchs Haar. "Ich selbst, aber meine Maschine ist jetzt kaputt" Er nickt, für mich ausdruckslos, vielleicht missbilligend - vielleicht fühle ich mich auch nur so.
"Okay, dann die Haare auch in Form schneiden"
"Bart ganz ab" "Ja, alles weg."
Eine schweigende viertel Stunde später war ich perfekt frisiert, mit dem Rasiermesser perfekt rasiert, hatte eine kurze, perfekte Gesichtsmassage hinter mir und für alles zusammen gerade mal 13 Eurinen abgedrückt. Natürlich ohne das Trinkgeld.
Im Spiegel sah ich 5 Jahre jünger aus, vielleicht auch ein wenig türkisch, auf jeden Fall männlicher.
So fühlte ich mich auch. Männlicher, größer, besser.
Wahrscheinlich werde ich öfter mal dort hin gehen. Es hat was von Motorradfahren. Ich war mit mir alleine, niemand quatschte mich voll, es tat mir gut, ich fühlte mich danach besser als vorher.
Kompliment, Osman oder wie auch immer Du heißt. Guter Job.
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